Arbeitsassistenz und Elternzeit
Menschen mit Behinderungen haben einen persönlichen Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz, also auf eine regelmäßige personale Unterstützung am Arbeitsplatz, wenn diese aus medizinischer Sicht und im Zusammenhang mit der zu erbringenden Arbeitsleistung erforderlich ist.
Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein:
- Vorliegen einer Schwerbehinderung, also mindestens ein
GdB von 50 - Vorliegen eines regelmäßigen und dauerhaften Unterstützungsbedarfs zur Ausführung der Arbeiten
- Sicherstellung, dass die Arbeitsassistenz nur Hilfstätigkeiten zum Ausgleich von behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen leistet (z. B. Vorlesen, Botengänge); die arbeitsvertraglichen Tätigkeiten muss der schwerbehinderte Arbeitnehmer selbst erbringen
- Weniger aufwändige Maßnahmen (z. B. behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung, Kollegenhilfe) reichen aus, damit der schwerbehinderte Arbeitnehmer seine Tätigkeit ausführen kann.
Geldleistung
Behinderte Arbeitnehmer können Geldleistungen beantragen, um damit Arbeitsassistenten selbst anzustellen (Arbeitgebermodell) oder über eine Dienstleistungsgesellschaft „einzukaufen“, bei der die Arbeitsassistenz angestellt ist, etwa bei einem ambulanten Pflegedienst.
Verwaltungsgerichts-Urteil
Nun wurde vor dem Verwaltungsgericht Mainz ein Fall verhandelt, bei dem es um die Gültigkeit der Regelung auch während einer Elternzeit ging
Entscheidung
Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz müssen vom Integrationsamt auch dann übernommen werden, wenn die Schwerbehinderte bei einem bestehenden Arbeitsvertrag über 20 Wochenstunden während der Elternzeit nur 10 Stunden wöchentlich arbeitet. Der aufgrund von Elternzeit ruhende Teil des Arbeitsverhältnisses wird im Rahmen der gesetzlichen Mindestbeschäftigung von 15 Stunden mitgezählt.
Der Fall
Die Klägerin ist schwerbehindert. Nach dem mit ihrem Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrag hat sie eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden zu erbringen. Der Kostenträger übernahm in der Vergangenheit die der Klägerin durch die Inanspruchnahme einer notwendigen Arbeitsassistenz entstandenen Kosten. Nach der Geburt ihres Kindes nahm die Klägerin Elternzeit in Anspruch. Während dieser Zeit arbeitete sie in reduziertem Umfang von 10 Wochenstunden an ihrem bisherigen Arbeitsplatz; eine Änderung der vertraglichen Arbeitszeit erfolgte nicht. Die Klägerin beantragte bei dem Integrationsamt die Übernahme der Kosten der von ihr in der Zeit des reduzierten Arbeitsumfangs organisierten Arbeitsassistenz. Der Beklagte lehnte das unter Hinweis darauf ab, dass die entsprechende Vorschrift in dem SGB IX zur Kostenübernahmepflicht eine Mindestwochentätigkeit von 15 Stunden voraussetze; erst ab diesem Arbeitsumfang könne von einer beruflichen Erwerbstätigkeit gesprochen werden. Das von der Klägerin eingeleitete Widerspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht gab der Klage hingegen statt.
Begründung
Es bestehe ein Anspruch auf die Übernahme der Kosten für die notwendige Arbeitsassistenz, die während der Elternzeit der Klägerin bei reduzierter Arbeitszeit angefallen seien. Dabei sei die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zugrunde zu legen. Dies verlangten insbesondere Sinn und Zweck der Kostenübernahmeregelung: Für das Ziel, dass sich schwerbehinderte Menschen im Wettbewerb mit nicht behinderten Arbeitnehmern behaupten könnten, sei es unerlässlich, auch für die Fälle einer elternzeitbedingten temporären Arbeitszeitreduzierung den Anspruch auf Kostenübernahme für eine Arbeitsassistenz zu behalten. Die gesetzliche 15-Stunden-Grenze werde dabei nicht missachtet, weil das (teilweise ruhende) Arbeitsverhältnis nach der Elternzeit in vollem vertraglichem Umfang wieder auflebe und der Sicherung einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage diene.
Quellen: Verwaltungsgericht Mainz, Urteil vom 10. Oktober 2024, 1 K 140/24.MZ), Thomas Knoche: „Finanzielle Hilfen für Menschen mit Behinderung„, Walhalla-Verlag
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