13.02.2024

Bezahlkarten und andere Abschreckungen

Mittlerweile dürfte allen klar geworden sein, dass die breite Mehrheit in Deutschland rechtsradikale und rechtspopulistische Politik ablehnt. Alle Vertreter der demokratischen Parteien begrüßen das ausdrücklich. Die Politik, die sie umsetzen, folgt allerdings den Erzählungen vom rechten Rand.

Offenbar scheint Deutschlands größtes Problem nicht etwa die drohende Klimakatastrophe oder die immer größere Kluft zwischen arm und reich zu sein, sondern die schier unfassbare Zahl von Flüchtlingen. 2023 wurden jeweils 240 Deutsche von einem Flüchtling umzingelt.

Warum fliehen Menschen?

Lösungen sind einerseits „Abschiebungen in großem Stil“ und andererseits muss man den Flüchtlingen das Leben hier möglichst unerträglich machen. Dabei soll die Bezahlkarte helfen. Grundlage dafür das Märchen von den Pullfaktoren. Danach sitzen in den Ländern der dritten Welt potenteille Flüchtlinge gemütlich während eines Krieges in ihren Bunkern oder etwa bei Umweltkatastrophen auf den Dächern ihrer Häuser und beratschlagen, wohin sie denn fliehen wollen. Und weil jemand weiß, dass es in Deutschland massenhaft Geld für Flüchtlinge gibt, wollen natürlich alle nach Deutschland. Nun ist aber jemand darunter, der von den drohenden Bezahlkarten gehört hat. Also wollen die Flüchtlinge doch lieber nach Italien oder sie geben den Fluchtgedanken auf und lassen sich umbringen.

Urteil des Verfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat schon 2012 der Politik ins Stammbuch geschrieben, dass ein menschenwürdigen Existenzminimums für jeden Menschen gewährleitet sein muss und erklärt, dass die Menschenwürde nicht »aus migrationspolitischen Gründen relativiert« werden dürfe (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11). Wie das aber gerade durch die Einführung einer Bezahlkarte konterkariert wird, hat Pro Asyl in einem Appell an die Bundesländer eindrücklich beschrieben.

Beispiele:

Keine Überweisungen: Die Bezahlkarte ist nicht mit einem Bankkonto verknüpft, eine Überweisungsmöglichkeit soll explizit ausgeschlossen sein. Überweisungen sind heutzutage aber unentbehrlich – etwa für einen Handyvertrag, für den Abschluss einer Haftpflichtversicherung oder manche kleine Einkäufe im Internet. Geflüchtete müssen insbesondere die Raten für ihre dringend benötigten Rechtsbeistände per Überweisung bezahlen können.

Beschränkung von Bargeld: Die Länder haben sich nicht einmal auf einen relevanten Mindestbetrag verständigt, der von den Betroffenen in bar abgehoben werden kann. Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in bestimmten Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse fehlt. Beim Gemeindefest oder in der Schulcaféteria kann man mit der Bezahlkarte nichts kaufen.

Regionale Beschränkung: Die Bezahlkarte kann so eingestellt werden, dass sie nur innerhalb eines bestimmten Postleitzahlenbereichs funktioniert. Die regionale Einschränkung der Karte stellt offenkundig den Versuch dar, die Freizügigkeit der Betroffenen durch die Hintertür zu beschränken: Wer Verwandte oder Freund*innen besucht oder einen weiter entfernten Facharzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen möchte, kann in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er*sie nicht einmal eine Flasche Wasser kaufen kann.

Verwaltungsaufwand senken?

Ein Argument der Länder bei der Einigung auf gemeinsame Standards für eine Bezahlkarte ist, dass der Verwaltungsaufwand damit gesenkt werde. Das ist allerdings höchst umstritten. Der Städtetag zeigte sich skeptisch, Sozialwissenschaftler Marcus Engler betont in der Tagesschau, dass es auf die Ausgestaltung der Bezahlkarte ankommt. Er hält übrigens das Argument, Fluchtanreize ließen sich durch niedrigere Sozialleistungen senken, für nicht belegt.

Auslandsüberweisungen stoppen?

Dazu Pro Asyl: „Eine weitere Begründung für die Bezahlkarte lautet: Man wolle den Transfer von Geld unterbinden – wahlweise zu den Heimatfamilien oder zu Schleppern. Dabei wird übersehen: Bereits heute erhalten Geflüchtete, besonders in der Anfangszeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder, vor allem Sachleistungen und nur einen sehr geringen Geldbetrag. Die Idee, von den geringen Asylbewerberleistungen könnte noch Geld in die Herkunftsländer geschickt werden, ist völlig realitätsfern.“

Quellen: Pro Asyl, FOKUS-Sozialrecht, Hessische Staatskanzlei, Deutschlandfunk, Taggesschau
Alles Wissenswerte zur Bezahlkarte im Artikel von Netzpolitik.org vom 24.01.2024

Abbildung: pixabay.com lifebuoy-4148444_1280.jpg