02.03.2019

Bundesteilhabegesetz (Teil 7) – Beratung und Unterstützung

Zentrale Bedeutung bei der Umsetzung der Selbstbestimmung und der vollen und gleichberechtigten Teilhabe ist eine umfassende Beratung und Unterstützung (§ 106 SGB IX). Dabei muss die Beratung in für den Betroffenen wahrnehmbarer Form geschehen. Dies trägt dem Artikel 21 der UN-Behindertenrechtkommission Rechnung. Die Beratung soll sich insbesondere der Leichten Sprache bedienen, aber auch Gebärdensprache, Brailleschrift, ergänzende und alternative Kommunikationsformen sollen eingesetzt werden, wenn es gewünscht wird.

Unverständlich ist, warum die Vorschrift in wahrnehmbarer Form zu kommunizieren nur auf die Beratung beschränkt ist. Genauso notwendig ist dies bei den Unterstützungsleistungen. Nicht nur beim Empfang von Informationen, sondern auch bei der Entgegennahme von Hilfeleistungen bei Anträgen, Entscheidungen und Inanspruchnahme von Leistungen ist es wesentlich, dass die leistungsberechtigte Person die Hilfen auch wahrnehmen kann, damit er sie dann annimmt.

Leistungsberechtigte sollen auch auf andere Beratungsmöglichkeiten hingewiesen werden, wie zum Beispiel auf die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung nach § 32 SGB IX (s.u.) oder Beratungen bei Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege.

Der Inhalt der Beratungs- und Unterstützungspflicht ist ausführlich beschrieben und erfordert eine hohe Fachlichkeit bei den Leistungsträgern.

Die Beratung umfasst insbesondere folgende Themen:

  1. die persönliche Situation des Leistungsberechtigten, den Bedarf, die eigenen Kräfte und Mittel sowie die mögliche Stärkung der Selbsthilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft einschließlich eines gesellschaftlichen Engagements,
  2. die Leistungen der Eingliederungshilfe einschließlich des Zugangs zum Leistungssystem,
  3. die Leistungen anderer Leistungsträger,
  4. die Verwaltungsabläufe
  5. Hinweise auf Leistungsanbieter und andere Hilfemöglichkeiten im Sozialraum und auf Möglichkeiten zur Leistungserbringung,
  6. Hinweise auf andere Beratungsangebote im Sozialraum,
  7. eine gebotene Budgetberatung.

Die Unterstützung umfasst insbesondere folgende Themen:

  1. Hilfe bei der Antragstellung,
  2. Hilfe bei der Klärung weiterer zuständiger Leistungsträger,
  3. das Hinwirken auf zeitnahe Entscheidungen und Leistungen der anderen Leistungsträger,
  4. Hilfe bei der Erfüllung von Mitwirkungspflichten,
  5. Hilfe bei der Inanspruchnahme von Leistungen,
  6. die Vorbereitung von Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft einschließlich des gesellschaftlichen Engagements,
  7. die Vorbereitung von Kontakten und Begleitung zu Leistungsanbietern und anderen Hilfemöglichkeiten,
  8. Hilfe bei der Entscheidung über Leistungserbringer sowie bei der Aushandlung und dem Abschluss von Verträgen mit Leistungserbringern sowie
  9. Hilfe bei der Erfüllung von Verpflichtungen aus der Zielvereinbarung und dem Bewilligungsbescheid.

Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung

Mit dem Bundesteilhabegesetz wurde zum 01.01.2018 die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) eingeführt (§ 32 SGB IX). Diese ist unabhängig von Leistungserbringern oder Leistungsträgern und nur dem Ratsuchenden verpflichtet. Als niederschwelliges Beratungsangebot soll sie wohnortnah sein, zeitnah agieren und mit dem Betroffenen auf „Augenhöhe“ sprechen. Um die Unabhängigkeit zu gewährleisten, sollen die Beratungsstellen aus Fördermitteln des BMAS finanziert werden. Bei der Förderung besonders berücksichtigt werden sollen Beratungsngebote von Betroffenen für Betroffene (Peer-to-Peer-Counseling).

Ziel der EUTB soll sein, „die Position von Menschen mit (drohenden) Behinderungen gegenüber den Leistungsträgern und Leistungserbringern im sozialrechtlichen Dreieck durch ein ergänzendes, allein dem Ratsuchenden gegenüber verpflichtetes Beratungsangebot zu stärken und insbesondere im Vorfeld der Beantragung konkreter Leistungen die notwendige Orientierungs-, Planungs- und Entscheidungshilfe zu geben. Das Angebot soll ganzheitlich die individuelle Persönlichkeit und Situation der Ratsuchenden aufgreifen und deren gesamtes soziales Umfeld mit dem Ziel einbeziehen, die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu stärken. Ratsuchenden soll dafür ein unabhängiges, d. h. insbesondere von ökonomischen Interessen und der Kostenverantwortung der Leistungsträger und Leistungserbringer weitgehend freies Beratungsangebot zur Verfügung stehen“ (so die Förderrichtlinie zur Durchführung der „Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung“ für Menschen mit Behinderungen vom 17.05.2017).

Mit dem Bundesteilhabegesetz wurden die „gemeinsamen Sevicestellen“ als Beratungsstruktur aufgegeben. Anders als die Servicestellen müssen die Teilhabeberatungsstellen unabhängig sein und dürfen sich weder in Trägerschaft der Reha-Träger noch in der von Leitungserbringern befinden.

Einen individuellen Rechtsanspruch auf eine EUTB gibt es aber nicht. Sollte es an der Umsetzung der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung mangeln, kann dagegen nur auf politischem Weg angegangen werden. Auch sind die Landkreise und Städte nicht verpflichtet solche Angebote einzurichten, die laut Gesetzesbegründung flächendeckend entstehen sollen.

EUTB werden im „neuen“ SGB IX an verschiedenen Stellen als Ansprechpartner genannt, etwa

  • in § 12 Abs. 1 Nr. 4 im Rahmen der allgemeinen Bereitstellung und Vermittlung geeigneter barrierefreier informationsangebote,
  • in § 20 Abs. 3 vor der Durchführung einer Teilhabekonferenz,
  • in § 33 im Rahmen der Beratungsstrukturen und der Beratungspflicht der SGB IX – Träger und
  • in § 106 Abs. 4 speziell der Träger der Eingliederungshilfe.

Ca. 800 EUTB werden bis 2022 mit Bundesmitteln gefördert. Auf https://www.teilhabeberatung.de/ kann man herausfinden, welche Organisationen eine Bewilligung erhalten haben unnd welche in der Nähe zu finden sind.

Quellen: Quellen: SOLEX, Bundestag, dejure.org

Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

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